Auf dem Hinweg will dein Kind getragen werden, auf dem Spielplatz flitzt es plötzlich los – und auf dem Rückweg geht nichts mehr. Kommt dir das bekannt vor? Dieses scheinbar widersprüchliche Verhalten ist bei Kleinkindern völlig normal und hat oft gute Gründe. Warum Kinder manchmal nicht laufen wollen, wie Eltern sie unterstützen können und welche Strategien den Alltag entspannter machen …
Die meisten Eltern kennen das: Man ist mit dem Kleinkind unterwegs, doch plötzlich weigert es sich zu laufen. Es will getragen werden oder lieber im Buggy oder Bollerwagen sitzen. Doch kaum erreicht man den Spielplatz, die Eisdiele oder das Haus von Freund:innen, sprüht das Kind vor Energie, hüpft und tobt ausgelassen. Bis der Rückweg ansteht – dann kann es auf einmal wieder nicht laufen. Dieses Phänomen tritt bei vielen Kindern im Alter zwischen etwa 1,5 und 5 Jahren auf und kann eine ganze Weile anhalten. Eltern sollten sich dadurch nicht manipuliert fühlen oder das Verhalten als Machtspiel missverstehen, sondern darauf vorbereitet sein und sich verständnisvoll darauf einlassen.
Was ist die Ursache für dieses Verhalten?
Wer die Ursache für das Verhalten seines Kindes kennt, kann in der Regel mehr Verständnis dafür aufbringen und es so gefühlvoller begleiten.___STEADY_PAYWALL___ Für eine vermeintliche „Lauffaulheit“ können unbequeme Schuhe, Kälte oder Hitze, Hunger, Durst oder Müdigkeit ebenso ursächlich sein wie eine volle Windel oder eine sich anbahnende Erkrankung. Ist das Problem behoben oder das Bedürfnis befriedigt, kann das Kind von jetzt auf gleich zu neuer Energie kommen und wieder ausgelassen los flitzen. Doch so einfach ist es nicht immer.
Was häufiger dahinter steckt
Häufig sind Kinder, die dieses Verhalten zeigen, mit der aktuellen Situation grundsätzlich überfordert. Ein Spaziergang zum Spielplatz ist vielleicht nur mit einer kurzen Wegstrecke verbunden, die unser Kind theoretisch schon zu Fuß bewältigen könnte. Und doch bedeutet er so viel mehr: Regeln kennenlernen und sich daran halten, auf vorgegebenen Wegen, in einem angemessenen Tempo gehen, an Kreuzungen und Ampeln stehen bleiben, auf den Verkehr achten, an der Hand bleiben und vieles mehr. Kleinkinder sind täglich mit vielen neuen Anforderungen und Herausforderungen konfrontiert. Der Prozess des „Weltbegreifens“ und der Selbstregulation erfordert enorme geistige und emotionale Energie. Was für uns Erwachsene selbstverständlich ist, kann ein Kleinkind schnell überfordern und erschöpfen.
Neue Situation, neue Energie
Treten wir dann durch das Tor zum Spielplatz ist die Energie wie durch Zauberhand plötzlich zurück. Das Kind rennt los, klettert, hüpft, rutscht und schaukelt unermüdlich. Als Elternteil kann man sich in einem solchen Moment ausgetrickst fühlen. Manche Eltern verspüren dadurch einen inneren Widerstand und nehmen sich vor, beim nächsten „Mama, Arm“ oder „Papa, Arm“ standhaft zu bleiben und darauf zu bestehen, dass das Kind zu Fuß geht. Schließlich hat es auf dem Spielplatz gezeigt, dass es dazu körperlich in der Lage ist. Bedenken sollten Eltern dabei immer, dass der Spielplatz für das Kind ein geschützter Raum ist, in dem es sich frei in alle Richtungen und im eigenen Tempo bewegen darf, in dem kein Auto fährt und keine Ampel berücksichtigt werden muss. Es kann sich hier weitestgehend frei entfalten. Außerdem wird es durch neue Reize schnell abgelenkt und von anderen Kindern und deren Spiel in den Bann gezogen – was Einfluss auf das Aktivitätslevel haben kann.
Die Nerven liegen blank?
Keine Frage, eine solche Situation kann nicht nur das Kind, sondern auch seine Eltern überfordern. Vor allem, wenn es nicht zum Spielplatz geht, sondern Termindruck herrscht, der Weg so schnell wie möglich zurückgelegt werden muss und das Kind ausgerechnet jetzt in den „Laufstreik“ tritt – eventuell mit lautem Geschrei, das die Blicke von Außenstehenden anzieht. Vielleicht hat man gerade zu allem Übel auch noch Einkaufstaschen in beiden Händen, den Hund an der Leine oder das kleinere Geschwisterkind in der Trage oder im Kinderwagen vor sich. In solchen Momenten kann es schwer fallen, Verständnis aufzubringen und ruhig und gelassen auf das Kind einzugehen.
Entspannungsmethoden ausprobieren
Es ist wichtig, auf die eigene mentale Gesundheit zu achten, sich regelmäßig Auszeiten zu nehmen und Strategien zur Stressbewältigung zu lernen, die in einer solchen Situation wie eine „Erste-Hilfe-Maßnahme“ wirken. Manchmal hilft es schon, eine kurze Pause einzulegen, manchmal braucht es aber etwas mehr und dann können verschiedene Übungen – wie beispielsweise die folgende – helfen, Ruhe zu bewahren.
DIE 4-6-8-METHODE
Atme 4 Sekunden tief ein, halte den Atem 6 Sekunden, atme 8 Sekunden langsam aus. Wiederhole das drei bis fünf Mal. Das signalisiert deinem Nervensystem, sich zu entspannen.
Vorbereitet sein
Damit eine solche Situation nicht eskaliert, kann man sich schon vorher darauf vorbereiten. Indem man mit Kleinkind immer etwas mehr Zeit für einen Weg einplant, den Weg an sich – beispielsweise durch kleine Spiele und Aufgaben – abwechslungsreicher und attraktiver gestaltet und für den Fall der Fälle einen Buggy, Bollerwagen, eine Trage oder Ähnliches dabei hat. Das Kind wird nicht verlernen zu laufen, nur weil es das zwischendurch nicht tun muss. Es wird auch nicht zu sehr „verwöhnt“ und dadurch „verweichlichen“. Es wird lernen, dass seine Bedürfnisse ernstgenommen werden und es sich immer an seine Bezugsperson wenden kann, wenn es in Not ist.
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Nicht alles, was funktioniert ist gut
Frühere Generationen haben Kinder häufig mit Angst erzogen. Das Androhen von Strafen und auch deren Durchsetzung war in vielen Familien üblich. Noch immer geben manche Menschen aus dieser Generation jungen Eltern Erziehungsratschläge, die längst überholt sind. Nur, weil manche Strategien funktioniert haben und auch heute noch funktionieren würden, bedeutet das nicht, das sie gut sind.
„Dann gehe ich ohne dich!“
In der gerade beschrieben Situation wäre es beispielsweise absolut unangebracht, das Kind in dem Moment, in dem es äußert, nicht mehr laufen zu können, stehen zu lassen und alleine weiterzugehen. Manche Eltern ignorieren ihr Kind und entfernen sich ohne Worte von ihm, andere kündigen diese Konsequenz mit Worten wie: „Dann gehe ich jetzt alleine weiter. Tschüss“ oder ähnlichen Formulierungen an. Das Kind, das ohnehin bereits in einer Überforderung und Erschöpfung steckt, hat nun auch noch mit Verlustängsten zu kämpfen. Es wird in seiner Not sehr wahrscheinlich nicht zurückbleiben, sondern seiner Bezugsperson verzweifelt nachlaufen. Augenscheinlich hat der Trick also funktioniert. Doch die kindliche Psyche sowie die Eltern-Kind-Beziehung können in solchen Momenten Schaden nehmen, was Eltern nicht riskieren sollten.

Rebecca Sommer
Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 36-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.