Manche Menschen gehen davon aus, dass Natural Parenting nur etwas für Familien auf dem Land ist. Weit gefehlt – auch in der Stadt kann man sein Kind natürlich begleiten.
Natural Parenting (kurz NP) oder zu Deutsch „natürliche Elternschaft“ ist kein starres Erziehungskonzept, sondern ein Lebensstil. Und den kann man unabhängig von seinem Wohnort leben. NP-Eltern begleiten ihre Kinder bedürfnisorientiert und intuitiv, beziehen außerdem Themen wie Naturverbundenheit und Nachhaltigkeit in ihren Alltag mit ein. Das alles geht auch in der Stadt – in manchen Situationen sogar einfacher, als auf dem Land. Welcher Baustein des Natural Parenting zur eigenen Familie und den äußeren Umständen passt, entscheidet ohnehin jede:r für sich.
Babys und Kleinkinder stillen
Muttermilch ist in der Regel die gesündeste und zudem die ursprüngliche Nahrungsquelle für einen Säugling. Verschiedene Organisationen, wie die WHO und Unicef sowie zahlreiche Expert:innen raten dazu, bis zum zweiten Geburtstag zu stillen. In der Stadt sind stillende Mütter in der Öffentlichkeit ein gewohnter Anblick und auch Langzeitstillen ist ein Thema, dem man dort immer häufiger begegnet. Spezielle Stillgruppen, in denen sich stillende Mütter mit ihren Kindern regelmäßig zusammenfinden, gibt es in Städten häufiger als in ländlichen Regionen.
Babys und Kleinkinder tragen
Während Kinderwagen eine neumodische Erfindung sind, ist das Tragen von Babys und Kleinkindern seit Menschengedenken weltweit verbreitet und für viele Naturvölker auch heute noch alltäglich. In den vergangenen Jahrzehnten haben Tragehilfen auch hierzulande wieder an Beliebtheit gewonnen. Das Tragen hat viele Vorteile und entspricht am ehesten der ursprünglichen und „artgerechten“ Fortbewegung.
Wer in der Stadt wohnt ist oft nicht auf ein eigenes Auto angewiesen. Viele Wege im Alltag können zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestritten werden. In Bus oder Bahn bietet sich ein Tragetuch oder eine andere Tragehilfe ohnehin viel besser an, als ein sperriger Kinderwagen. Auch in Cafés oder kleineren Läden findet man sich damit in der Regel besser zurecht. Wickelutensilien, Einkäufe und Co. können in einem großen Rucksack nach Hause transportiert werden.
Im Familienbett schlafen
Wohnraum in der Stadt ist in den meisten Regionen teurer, als auf dem Land. Familien mit durchschnittlichem Einkommen können sich nicht immer für jedes Kind ein eigenes Zimmer leisten. Doch gerade in den ersten Jahren braucht es das auch gar nicht. Das Schlafen im Familienbett war früher ganz normal und ist es in zahlreichen anderen Kulturen auch heute noch. Babys in den ersten Lebensmonaten zum Schlafen allein in ein eigenes Zimmer zu legen, entspricht nicht der Natur des Menschen. NP-Eltern haben ihre Kindern auch in der Nacht gern nah bei sich – im eigenen Bett oder einem Beistellbett daneben. Für Familien in der Stadt hat das direkt den Vorteil, dass sie sich die Miete für ein zusätzliches Babyzimmer sparen können.
Gesunde Lebensmittel kaufen
Das Angebot an gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln ist in der Stadt sehr groß. Wochenmärkte, Bio-Supermärkte, Reformhäuser, Bio-Bäckereien, Unverpackt-Läden und vegane Angebote gibt es zahlreiche. Keiner schaut schräg, wenn man im Café einen Cappuccino mit Hafermilch bestellt oder in der Bäckerei nach glutenfreien Alternativen fragt. Auch ist das Angebot an Lieferdiensten größer und neben Pizza und Burger findet man in den meisten Städten auch Anbieter:innen, die sich auf „Healthy Food“ spezialisiert haben.
Einige NP-Familien in der Stadt beziehen regelmäßig frisches Obst und Gemüse in Form von „Bio-Boxen“, die bis an die Haustür geliefert werden. Einige bauen im kleinen Stil ihr eigenes Obst und Gemüse an – auf der Fensterbank, dem Balkon, der Dachterrasse oder im Stadtgarten. Andere beteiligen sich an Gemeinschaftsgarten-Projekten.
Nachhaltig shoppen
Neben Lebensmitteln finden sich in der Stadt auch zahlreiche Läden für andere alltägliche Dinge in ökologischer Qualität: Kleidung, Spielsachen, Möbel, Deko, Haushaltswaren und mehr. Vor allem in Großstädten ist die Auswahl solcher Shops groß. Auch Second-Hand-Läden findet man in Städten noch häufiger, als auf dem Land.
NP-Eltern legen häufig Wert auf natürliche Materialien, um sich so die Natur ins Haus zu holen. Sie bevorzugen Möbel und Spielsachen aus Holz, Textilien aus Naturfasern, verwenden Holzzahnbürsten, machen Kosmetik und Reinigungsmittel selbst und achten auch in anderen Bereichen auf Zero Waste und Naturschutz. Alles auch in der Stadt möglich.
Ausflüge in die Natur machen
Um einen Ausflug in die Natur zu machen, müssen Familien aus der Stadt nicht erst stundenlang fahren. Natur erleben kann man vor der eigenen Haustür – auch in der Stadt. Parks und andere öffentliche Grünflächen sind eine gute Anlaufstelle. Hier kann man barfuß durchs Gras streifen, auf Bäume klettern, Tiere beobachten und Pflanzen bestimmen.
Doch auch auf jedem noch so winzigen Grünstreifen am Wegesrand findet man diverse Pflanzen, Insekten und Vögel. In Städten leben (meist versteckt) viele Wildtiere – von Eichhörnchen über Fledermäuse und Eulen bis hin zu Mäusen, Madern, Füchsen und Wildschweinen. Sie haben sich längst mit den Gegebenheiten urbaner Räume arrangiert. In einigen Städten bieten Naturschutzorganisationen wie der NABU Führungen an.
Auch Wasser gibt es in den meisten Städten – in Form von Seen, Flüssen, Kanälen oder Bächen. Dieses Element fasziniert die meisten Kinder sehr und ein Ausflug dorthin lohnt sich. Auch große Pfützen, die sich nach Regentagen gebildet haben, können Naturerfahrungen ermöglichen. Naturkundemuseen sind ein weiteres schönes und lehrreiches Ausflugsziell für NP-Eltern.
Gleichgesinnte finden
In der Stadt ist es für NP-Eltern sogar in der Regel leichter Gleichgesinnte in der Nähe zu finden, als auf dem Land. Hier gibt es zahlreiche Kurse und Gruppen-Angebote. Am besten informiert man sich in den nächsten Hebammenpraxen und Geburtshäusern darüber, solange man noch kleine Kinder hat. Natur-, Wald oder Bauernhofkindergärten gibt es häufig am Stadtrand – hier findet man Familien, die ähnliche Werte vertreten. Doch auch im Zentrum einer Großstadt findet man naturpädagogische Angebote, die man in der Freizeit annehmen kann. Nicht zuletzt helfen Online-Suchmaschinen und Soziale Medien dabei, Anlaufstellen, Veranstaltungen und Gleichgesinnte in der eigenen Umgebung zu finden. Die Vielfalt ist in der Stadt meist größer als auf dem Land.
Urlaub auf dem Land
Die Nähe zur Natur ist in der Stadt im Alltag möglich, kann auf dem Land aber ohne Frage noch intensiver erlebt werden. Naturverbundene Familien die in der Stadt leben suchen deshalb als Urlaubsziel oft eine ländliche Region heraus. Viele von ihnen mögen Camping oder Glamping, mieten eine Ferienwohnung in einem abgelegenen Dorf, machen Bauernhofurlaub oder quartieren sich in einem Bio-Hotel ein. Naturnahe Aktivitäten wie Wanderungen, Rad- oder Bootstouren gehören für sie zum Urlaubsprogramm selbstverständlich dazu.
Rebecca Sommer
Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 36-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.