Was in Japan längst eine anerkannte Wissenschaft ist, beschäftigt auch hierzulande immer mehr Menschen – die Heilkraft der Bäume oder kurz gesagt Waldmedizin. Sowohl auf den Körper, als auch auf den Geist kann der Aufenthalt im Wald positive Auswirkungen haben.
Shinrin-Yoku ist japanisch und bedeutet übersetzt so viel wie „Baden im Wald“. In Japan wird der bewusste Aufenthalt im Wald als Bestandteil eines gesunden Lebensstils betrachtet, bei manchen Erkrankungen sogar von Ärzt:innen verschrieben. Waldmedizin ist in Japan ein anerkanntes Forschungsgebiet an Universitäten. Dort untersuchen Forscher:innen die positive Wirkung des Waldes auf Körper und Geist. Die Ergebnisse sind erstaunlich.
Waldluft als Medizin
Auch hierzulande erkennen immer mehr Menschen die heilsame Wirkung, die der Wald auf Menschen haben kann. Nicht nur zur Behandlung bereits vorhandener Erkrankungen, sondern auch zur Vorbeugung. Durch Waldbaden können das Immunsystem gestärkt, der Blutdruck gesenkt und das allgemeine Wohlbefinden gesteigert werden. Die Konzentration von Stresshormonen im Blut kann messbar ab- und die von Glückshormonen zunehmen. Wer sich regelmäßig im Wald aufhält, hat ein geringeres Risiko, beispielsweise Depressionen, Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu bekommen. Und die positive Wirkung liegt nicht nur an der Bewegung an der frischen Luft, sondern zudem an den Terpenen die Bäume absondern. ___STEADY_PAYWALL___Bäume kommunizieren untereinander mit diesen Duftstoffen, warnen sich beispielsweise vor Feinden. Wir Menschen können Terpene über die Atemluft und über die Haut aufnehmen.
Waldbaden lernen und lehren
Es gibt vielerorts Lehrgänge, in denen man sich zum:zur Kursleiter:in für Waldbaden ausbilden lassen kann. Hinterher kann man Kurse anbieten und jene Menschen anleiten, die die Verbindung zur Natur verloren haben. Vor allem Menschen, die in der Stadt aufgewachsen sind oder dort schon lange leben, interessieren sich für die Teilnahme an solchen Kursen. Menschen, die auf dem Land aufgewachsen sind, halten sich zwar oft auch als Erwachsene und mit ihren eigenen Kindern häufiger in der Natur auf, doch mit bewusstem und achtsamem Waldbaden sind auch viele von ihnen nicht vertraut. Denn beim Waldbaden geht es nicht um einen einfachen Spaziergang durch den Wald. Dahinter steckt noch einiges mehr. Im Handel findet man zahlreiche Bücher mit Hintergrundinformationen und Erkenntnissen sowie praktischen Übungen für das Waldbaden im Alltag. Wer also direkt einen Kurs besuchen oder gar Kurse anleiten will, kann zu solchen Büchern greifen, um einen ersten Einblick in das Thema zu gewinnen.
Beispielsweise: „Waldbaden mit Kindern: Achtsamkeit und Entspannung in der Natur“, von Regina Bestell-Körfer, erschienen im Herder Verlag oder „Wir lieben Waldbaden für Familien: Waldbaden-Wissen, Aufgaben und Erlebnistagebuch für die ganze Familie“, von Jasmin Schlimm-Thierjung und Wriedt Cornelia, erschienen im Lipplerbookz Buchverlag. (Unbezahlte Werbung)
Waldbaden mit Kind
Mit Kind im Wald kann man einiges erleben. Hier warten kleine Abenteuer, die erlebt werden wollen. Man kann beispielsweise Naturwissen spielerisch vermitteln und vertiefen, eine Schatzsuche machen, ein Tipi aus Ästen bauen, erste Erfahrungen mit einem Schnitzmesser sammeln, im Wald picknicken oder übernachten. Die Möglichkeiten, den Wald in den Alltag zu integrieren und mit Kind Zeit darin zu verbringen, sind vielfältig. Ein Thema für sich ist das Waldbaden mit Kind. Dabei geht es nicht um Abenteuer oder Umweltbildung im eigentlichen Sinne. Vielmehr soll die Heilkraft der Bäume bewusst genutzt werden um Körper und Geist etwas Gutes zu tun.
Waldbaden…
- … stärkt das Immunsystem.
- … kann manchen Krankheiten vorbeugen.
- … kann bei der Therapie vorhandener Krankheiten hilfreich sein.
- … kann Kindern helfen, mit ihren Gefühlen umzugehen.
- … kann Kindern helfen, ihre Konzentrationsfähigkeit zu verbessern.
- … kann die Körperwahrnehmung, Körpergefühl und Motorik schulen.
- … kann die Kreativität fördern.
- … und noch einiges mehr.
Das „Sein“ steht beim Waldbaden vor dem „Tun“. Man spricht auch von der „gewollten Absichtslosigkeit“. Bewusste, achtsame Atem- und Entspannungsübungen können hilfreich sein, um in den Wald einzutauchen und ihn mit allen Sinnen wahrzunehmen. Je nach Alter und Temperament des Kindes bieten sich unterschiedliche Übungen an. Grundsätzlich ist Waldbaden für alle Kinder geeignet – auch und sogar besonders – für Kinder, die im Alltag Schwierigkeiten damit haben, ihre Gefühle und Impulse zu kontrollieren oder sich zu konzentrieren.
Keine strenge Anleitung
Waldbaden muss nicht nach einer strengen Anleitung erfolgen. Es ist jedoch durchaus hilfreich, bestimmte Rituale einzubauen, die sich bei jedem Waldbad wiederholen. Das können selbst erdachte Übungen sein oder solche, die bereits von erfahrenen Waldbader:innen praktiziert werden. Es gibt Übungen speziell für Kinder und Übungen, die sich an den Jahreszeiten orientieren. Wer mit dem Waldbaden anfängt, kann eine bewusste Übung für den Anfang und eine für den Schluss auswählen und sich dazwischen zunächst in bewusstem, langsamem Gehen, Atmen, Beobachten, Wahrnehmen und Staunen üben. Wer schon etwas mehr Erfahrung hat oder direkt intensiver in das Thema einsteigen will, kann auch zwischendurch noch eine oder mehrere Übungen einbauen. Beim Waldbaden geht es nicht darum, eine Liste abzuhaken und anders als bei einem Spaziergang oder einer Wanderung auch nicht darum, an einem bestimmten Ziel anzukommen. Erlaubt ist, was zur Entspannung beiträgt – das kann eine Meditation sein, aber ebenso das bewusste Trinken einer Tasse Tee.
Vorbereitungen treffen
Ehe man mit seinem Kind in den Wald geht, sollte man gut vorbereitet sein. Das heißt, entsprechende Kleidung anziehen, etwas Proviant (Essen, Trinken, eventuell Windeln und Wechselkleidung) sowie ein kleines Notfall-Kit (Desinfektionsmittel, Pflaster und Co.) einpacken. Für ein Waldbad sollte man genügend Zeit einplanen und nicht danach zum nächsten Termin hetzen müssen. Die Wetterlage sollte man vorab checken – denn bei Sturm, Nebel oder feuchtem Schnee kann der Aufenthalt im Wald gefährlich sein. Ehe man in den Wald geht, sollte man sein Smartphone aufladen, um im Notfall Hilfe rufen zu können, doch man sollte es auf lautlos einstellen, damit man nicht mitten in einer Achtsamkeitsübung vom Klingeln gestört wird. Im Wald angekommen sollten die Erwachsenen immer nach möglichen Gefahren Ausschau halten – denn beim Waldbaden werden einige Übungen mit geschlossenen Augen gemacht und dabei sollte man sicher sein, dass man nicht etwa unter einem Ast steht, der abzustürzen droht. Für ein Waldbad bietet sich ein Wald an, der nicht allzu stark besucht ist. Expert:innen in dem Bereich raten dazu, ein Waldbad mindestens 400 Meter abseits der nächsten Straße zu nehmen. Ob es sich um einen Nadel-, Laub- oder Mischwald handelt, soll übrigens keine entscheidende Rolle spielen.
3 Beispiele für kindgerechte Übungen
Eine Übung, die für Kinder etwa ab dem Kindergartenalter und auch für Erwachsene geeignet ist, ist die „Sorgen-Garderobe“. Ehe man den Wald betritt, sucht man sich am Wegesrand einen Baum aus und ernennt ihn zur „Sorgen-Garderobe“, an die man seine Alltagssorgen wie eine unsichtbare Jacke aufhängt. Diese Übung soll den Kopf frei machen und negative Gedanken – wenigstens für einen Moment – vertreiben.
Etwas älteren Kindern und Erwachsenen kann die folgende Übung helfen, die Sinne zu schärfen. Kindern gelingt das erfahrungsgemäß sogar schneller und leichter, als Erwachsenen. Man stellt sich etwa hüftbreit hin und schließen die Augen. Die Arme hängen locker herunter, die Finger sind abgespreizt. Nun stellt man sich vor, mit den Fingerspitzen durch Wasser zu streifen und konzentriert sich ganz bewusst darauf. Die Fingerspitzen sind sehr empfindlich und es ist erstaunlich, wie sie auf diese Übung reagieren können.
Eine Übung, welche die Sinne schärfen und zugleich für Entspannung sorgen soll, ist die „5-4-3-2-1“-Übung. Sie stammt ursprünglich aus der Traumatherapie und hilft dabei, im „Hier und Jetzt“ zu sein. Man kann diese Übung im Stehen, Sitzen oder Liegen machen – aber auch im langsamen Schlendern. Wichtig ist, dass man sich sicher und wohl fühlt. Zunächst zählt man gedanklich 5, dann 4, dann 3, dann 2 und dann eine Sache(n) auf, die man sieht, hört und spürt. Das Gehirn ist während dieser Übung so beschäftigt, dass negative Gedanken darin gar keinen Platz mehr finden. Beispiel: „Ich sehe eine wunderschöne Erdbeerblüte, ich höre das rhythmische Klopfen eines Spechts, ich spüre das weiche Moos unter meinen Füßen.“ Bei einer Abwandlung dieser Übung wird zusätzlich das Riechen integriert.
5x: Ich sehe …, 5x: Ich höre …, 5x: Ich spüre …
4x: Ich sehe …, 4x: Ich höre …, 4x: Ich spüre …
3x: Ich sehe …, 3x: Ich höre …, 3x: Ich spüre …
2x: Ich sehe …, 2x: Ich höre …, 2x: Ich spüre …
1x: Ich sehe …, 1x: Ich höre …, 1x: Ich spüre …
Hinweis: Dieser Beitrag ist nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert, stellt aber dennoch keine medizinische Beratung dar!
Rebecca Sommer
Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 36-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.