Wer beim Stichwort „Skiurlaub“ an kahle Berge, Massentourismus und Schlagermusik denkt, der war ganz bestimmt noch nicht in Trysil. Der norwegische Ort, unweit der schwedischen Grenze, gilt als Geheimtipp und Gegenstück zum typischen Alpenzirkus. Familien, die gerne nachhaltig reisen und neben dem Skifahren naturnahe Abenteuer erleben wollen, sind hier gut aufgehoben. Autorin Rebecca Sommer wollte sich davon selbst überzeugen und ist mit ihrem Mann und zwei Kindern nach Norwegen gereist…
Der Reisebus holpert über die vereisten Straßen, aus den Fenstern sehen wir nichts als schneebedeckte Wälder und Wiesen –dazwischen das eine oder andere schwarz gestrichene Holzhaus mit rauchendem Kamin. Trysil ist nicht mehr weit entfernt und schon der Weg in den norwegischen Skiort entschleunigend. Bei unserer Abreise in Hamburg waren die Temperaturen mild und Schneemengen, wie wir sie hier sehen, hatten wir in Norddeutschland seit Jahren nicht. Die Kinder sind aufgeregt und auch bei uns Erwachsenen wächst die Vorfreude. Als ich vor einigen Wochen von einer Naturkind-Leserin gefragt worden bin, ob Skiurlaub nachhaltig sein kann, hätte ich dies beinahe spontan verneint. Doch dann habe ich von dem kleinen Ort in Norwegen gehört, der 2014 als „nachhaltiger Urlaubsort“ ausgezeichnet worden ist, und bin neugierig geworden.
Sanfter Tourismus in Norwegens größtem Skigebiet
Mit 68 Abfahrten und 31 Liften, drei großen Kinderbereichen und mehreren Snow Parks ist Trysil Norwegens größtes Skigebiet. Dennoch hat man hier keine langen Schlangen vorden Liftanlagen zu befürchten, denn die Region setzt auf „sanften Tourismus“. Anfänger und Fortgeschrittene kommen in Trysil gleichermaßen auf ihre Kosten und auch für diejenigen, die ihre skibegeisterte Familie zwar gerne begleiten, sich selbstabernicht auf Bretter stellen wollen, hält die Region ein abwechslungsreiches Freizeitangebot parat. In der gemeinsamen Familienzeit außerhalb der Pisten ist ebenfalls keine Langeweile in Sicht. Die meisten Hotels und Unterkünfte sind auf Familien eingestellt und bieten Spielzimmer, Kletterwände, Bowling, Billardtische, Schwimmbäder und weitere Highlights an.
Naturfans können bei einer geführten Wanderung mit Schneeschuhen oder Langlaufskiern die wilde Seite Norwegens erkunden. Echte Abenteurer trauen sich in der Dunkelheit mit einem erfahreneren Guide in den Wald und lernen hier, welche Pflanzen essbar und teilweise echte Vitaminbomben sind, wie man ohne Feuerzeug ein Lagerfeuer entzündet und wie man sich verhalten sollte, wenn man in einem Schneesturm die Orientierung verlieren würde. Auch Geschichten und Legenden über die Region und ihre Bewohner bekommt man hier zu hören und in dem Pulverschnee, der jedes Jahr mindestens einen Meter hoch fällt, entdeckt man schnell Spuren von Schneehasen, Wölfen und Elchen.
Unterkünfte und Verpflegung
Mit zwei Kindern im Teenageralter haben wir uns für eine Familiensuite in einem Resort-Hotel entschieden. Eltern und Kinder haben hier separate Schlafzimmer, den Wohn- und Essbereich mit Küche und das Duschbad teilen sich alle. Da Lebensmittel in Norwegen für deutsche Verhältnisse nicht gerade günstig sind, war uns eine Kochmöglichkeit sehr wichtig und wir haben vorsorglich Grundnahrungsmittel, wie Nudeln, Reis und Soßen mitgebracht. Unsere Unterkunft ist im Erdgeschoss gelegen, über die Terrasse gelangt man direkt zur nächsten Skipiste, was wir besonders praktisch finden. Diesen Vorteil bieten nicht nur dieses Hotel, auch viele der Bergferienhäuser und Ferienwohnungen befinden sich in unmittelbarer Nähe von Abfahrten und Liften, sodass man nicht erst mit dem Bus oder Taxi fahren muss.
Am ersten Abend sind wir von der Anreise müde und gehen deshalb in ein benachbartes Restaurant, statt uns selbst an den Herd zu stellen. Die bestellten Pizzen werden frisch und aus regionalen Zutaten in einem Steinofen zubereitet und mein Extrawunsch nach einer glutenfreien Pizza, der in Deutschland selten erfüllt wird, stellt hier keine Herausforderung dar. Satt und zufrieden finden wir in den bequemen Betten schnell in den Schlaf und starten am nächsten Morgen gut gelaunt in den Tag.
Naturschutz ist den Einheimischen wichtig
Die Kinder sind zuvor noch nie Ski gefahren und deshalb bei einem Skilehrer angemeldet. Während die beiden mit anderen Kindern von einem Großraumtaxi abgeholt und zu einem der Kinderbereiche gebracht werden, erkundet mein Mann die Profipisten und ich treffe den Einheimischen Jan Lindstad von „Skistar Trysil“. Er ist im Ort geboren und aufgewachsen und auf Skiern so sicher unterwegs, wie andere zu Fuß. „Sobald man als Kleinkind stehen kann, bekommt man Skier untergeschnallt“ erklärt er und als ich ihm erzähle, dass ich das erste und letzte Mal vor fünfzehn Jahren Ski gefahren bin, entscheidet er, dass wir unsere Tour lieber mit seiner Schneeraupe machen. Für diese hat er als Mitarbeiter der Tourismuskooperative eine Sondergenehmigung. Touristen dürfen in der Region nicht mit motorisierten Fahrzeugen auf die Pisten und er selbst würde nie abseits der gekennzeichneten Wege fahren – aus Respekt vor der Natur.
Die Pisten sind von hohen, schneebedeckten Nadelwäldern gesäumt, die nicht nur optisch, sondern auch akustisch für sehr viel Ruhe sorgen. In den Wäldern leben Schneehasen, Elche und Wölfe. Dass sich die wilden Tiere trotz Skitourismus in Trysil wohlfühlen, liegt in erster Linie an dem nachhaltigen Umgang mit den umliegenden Wäldern. Das Thema Naturschutz wird hier großgeschrieben und so zählt Trysil zu den ersten Urlaubsorten Europas, denen die prestigeträchtige Auszeichnung „Nachhaltiger Tourismus“ verliehen worden ist. Einige der Liftanlagen werden bereits mit Solarstrom betrieben und weitere sollen in den kommenden Jahren umgerüstet werden.
Die meisten der rund 6600 Einheimischen verdienen zwar am Tourismus, legen aber dennoch großen Wert auf den Erhalt der naturnahen Heimat. Auf den Speiseplänen der rund 30 Restaurants stehen zahlreiche Leckereien, die direkt aus der Region stammen und auch in dem kleinen Supermarkt des Ortes findet man typisch norwegische Spezialitäten wie süße Kanelboller (Zimtschnecken) oder Elchsalami. Elchfleisch spielt in der einheimischen Küche eine große Rolle. Jan erzählt mir, dass er selbst Elchjäger ist und Fleisch an die umliegenden Restaurants verkauft. Am Abend treffe ich Mann und Kinder wieder und blicke in drei strahlende Gesichter. In der Dämmerung fahren wir Schlitten, ehe wir zusammen kochen und nach dem Essen ein Brettspiel spielen.
Schritt für Schritt zur grüneren Unternehmensführung
Am nächsten Vormittag haben die Kinder noch einmal Skiunterricht, während ich meine Grundkenntnisse im Skifahren von meinem Mann auffrischen lasse. Am Nachmittag sind wir drei Anfänger schon so fit, dass wir gemeinsam auf anspruchsvolleren Pisten fahren können. Das Wetter in den Bergen ist launisch und so müssen wir wegen schlechter Sicht früher als geplant zur Unterkunft zurückkehren. Ich nutze die Zeit für ein Interview mit Morgan Eriksson, vom „Park Inn Mountain Resort“, während die anderen eine Partie Billard spielen. Das Hotel setzt sich seit Jahren verstärkt mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander. Aus eigener Überzeugung, doch auch, weil immer mehr Touristen Wert darauflegen. Vor allem schwedische Gäste hätten hohe Ansprüche, wenn es um Umwelt-und Klimaschutz gehe, weiß Morgan. So werde der Pool am Abend nicht mehr beheizt, Kaffeekapseln wurden abgeschafft, Bettwäsche werde nicht mehr täglich gewechselt, Handtücher nach Bedarf gewaschen und als Partner der App „Too Good To Go“ kämpfe man gegen Lebensmittelverschwendung an. Mitarbeiter und Einheimische würden am Abend die vom Buffet übrig gebliebenen Speisen für wenig Geld abholen. Schritt für Schritt versuche man, eine grünere Unternehmensführung zu realisieren.
Im Schneesturm durch die Nacht
In den kommenden Urlaubstagen fahren wir Ski und Schlitten, verbringen viel Zeit als Familie, aber auch jeder für sich und lernen weitere Einheimische, wie Bente Nysæter kennen. Sie arbeitet bei der Touristeninformation und hat für uns die wohl schönste Erinnerung in diesen Winterurlaub vorbereitet: Eine geführte Schneeschuh-Wanderung im Dunkeln, mit zwei Wildnistrainern von „Wolverine Adventure“. Es ist eisig kalt und stürmisch. Die Sicht ist trotz Kopflampen schlecht, der Schnee peitscht uns ins Gesicht und jeder Schritt mit den riesigen Schneeschuhen fällt schwer. Wir fühlen uns, wie man sich bei einer Arktis-Expedition fühlen muss, doch statt Erschöpfung spüren wir das Adrenalin in unseren Adern und auch die Kinder beißen sich tapfer durch.
Uns ist bewusst, dass wir ohne die drei einheimischen Begleiter verloren wären. Der Schneesturm verweht jeden unserer Fußstapfen direkt, sodass wir den Weg zurück alleine nicht mehr finden würden. Wir sind mitten in einem Nadelwald und für uns sieht alles gleich aus. „Touristen sollten hier niemals alleine zu einer solchen Wanderung aufbrechen“, warnt Guide Carl Jørgen Seljestad und sollte man sich doch in einer solchen Lage befinden, sollte man nicht weitergehen, das würde zu viel Energie verbrauchen. Stattdessen sollte man sich unter einem der Nadelbäume, deren Äste bis auf den Boden hängen, hinhocken, ganz klein machen und denTageseinbruch abwarten.
Der Sturm lässt langsam nach und so können wir im Schnee Tierspuren erkennen. Zuerst die von Schneehasen und dann die von Wölfen. „Wölfe verhalten sich im Rudel anders, als Hunde“, erklärtCarl. Während Hunde durcheinander laufen, treten Wölfe gezielt in die Fußstapfen ihres Vordermanns. „Deshalb können wir auch nicht bestimmen, wie viele Wölfe hier entlang gelaufen sind.“ Auf diese Weise würden Wölfe bei diesen Witterungsverhältnissen Energie sparen. Menschen gelten für Wölfe nicht als Nahrung, weshalb wir keine Angst haben müssen. „Wölfe sind scheu und haben eher Angst vor Menschen“, versichert Carl.
Wir machen Rast und erst jetzt sehen wir, wie viel Gepäck die beiden Wildnistrainer dabei haben. Routiniert entzünden sie ein kleines Feuer, breiten daneben ein Fell aus und laden uns ein, Platz zu nehmen. Es gibt heiße Schokolade, Würstchen und Elchschinken. Die Vegetarier rösten sich an Stöcken aufgespießtes Brot über dem Feuer. Aufgewärmt und gestärkt machen wir uns auf den Rückweg, auf dem uns Carl die „Zitronen des Waldes“ zeigt: „Die Triebe der Kiefern und Fichten kann man essen oder als Tee zubereitet trinken. Sie enthalten sehr viel Vitamin C und stärken das Immunsystem“, weiß er.
Als wir zwei Tage später die Rückreise nach Hamburg antreten, sind wir erholt und zufrieden und haben viele tolle Eindrücke im Gepäck. Nur Polarlichter hätten wir gerne noch gesehen. Vielleicht haben wir bei unserem nächsten Trysil-Urlaub Glück – und dieser kommt bestimmt!
Rebecca Sommer
Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 36-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.