Die Zahl geplanter Alleingeburten in Deutschland steigt. Rollt da eine neue Trendwelle auf uns zu und wie gefährlich ist eine Alleingeburt?
Von einer Alleingeburt spricht man, wenn sich ein Mensch bewusst dafür entscheidet, sein Kind ohne Unterstützung durch medizinisches Fachpersonal wie einen Arzt, eine Ärztin oder Hebamme zur Welt zu bringen. Die Geburt wird entweder ganz allein durchlebt oder von einer vertrauten Person aus dem näheren Umfeld – beispielsweise Partner:in oder Freund:in – begleitet. Manchmal sind weitere Familienmitglieder oder auch eine freie Doula anwesend. Eine Alleingeburt kann zu Hause oder an einem anderen Ort stattfinden. Andere Begriffe, die das gleiche meinen sind Freigeburt, DIY-Geburt, ungehinderte Geburt, unassistierte Geburt und nicht unterstützte Hausgeburt.
Manchmal kommt ein Kind schneller als erwartet auf die Welt und die Zeit von der ersten Wehe bis zur Entbindung reicht nicht aus, um ins Kranken- oder Geburtshaus zu fahren oder die Hausgeburtshebamme schafft es nicht rechtzeitig vor Ort zu sein. In solchen Fällen wird manchmal von einer "ungeplanten Alleingeburt" gesprochen. In der Regel ist professionelle Hilfe dann bereits unterwegs und trifft kurz nach der Geburt ein, um die Beteiligten zu versorgen.
Zahl steigend, aber keine Trendwelle
Geplante Alleingeburten sind in Deutschland sehr selten und werden nur in wenigen Fällen von Erstgebärenden angestrebt. Zwar werden Alleingeburten nicht offiziell statistisch erfasst, doch es gibt einige inoffizielle Erfassungen, wie DIESE HIER, welcher zufolge die Zahl an Alleingeburten in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Wurden im Jahr 2012 noch 12 Alleingeburten erfasst, waren es 2020 bereits 186. Diese Zahlen sind jedoch weit davon entfernt, einen neuen Trend zu belegen. Da das Thema Alleingeburt polarisiert, teils sogar provoziert, wird es von einigen Medien gern künstlich aufgebauscht und macht auf Social Media Plattformen schnell die Runde, weshalb der Eindruck eines neuen Trends entstehen könnte.
Ist eine Alleingeburt in Deutschland überhaupt erlaubt?
Grundsätzlich gilt das geburtliche Selbstbestimmungsrecht: In Deutschland hat jede Person, die ein Kind zur Welt bringt das Recht, den Ort für die Geburt selbst zu bestimmen. Sie kann dafür ein Kranken- oder Geburtshaus, ihr eigenes Zuhause oder das einer vertrauten Person auswählen und sogar einen öffentlichen Ort – beispielsweise einen Wald oder ein Meer. Auch darf sie selbst bestimmen, ob sie bei der Geburt ihres Kindes allein oder in Begleitung sein will. Ihre Begleitung darf sie ebenfalls selbst auswählen und diese muss nicht zwingend medizinisch ausgebildet sein.
Zählst du als Risikoschwangere, solltest du eine Alleingeburt nicht in Erwägung ziehen. Zu groß ist die Gefahr, dass du oder dein ungeborenes Kind Schaden nimmt.
Doch es gibt – wie bei jedem Freiheitsrecht – Ausnahmen. Weil die Entscheidung der schwangeren Person nicht nur sie selbst, sondern auch Dritte (u. a. das ungeborene Kind sowie medizinische Fachkräfte) betrifft, ist das geburtliche Selbstbestimmungsrecht nicht schrankenlos. Der Staat unterliegt einer Schutzpflicht für diese Personen – insbesondere das Kind. In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es dazu: „Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.“ (BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90, BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975– 1 BvF 1/74).
Im Klartext bedeutet das, dass sich eine gebärende Person strafbar machen kann, wenn durch ihr Handeln das Recht auf Leben oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit Dritter (des Kindes) bedroht ist. Einen ausführlichen Beitrag zu diesem Thema findest du HIER.
Warum entscheiden sich Menschen für eine Alleingeburt?
Beweggründe für eine geplante Alleingeburt gibt es unterschiedliche. Häufig genannt ist der Wunsch nach einer selbstbestimmten und natürlichen Geburt. Eingriffe in das Geburtsgeschehen durch Dritte ist von ihnen nicht erwünscht, manchmal besteht auch eine ausgeprägte Angst davor. Oft wurden bereits negative Erfahrungen mit Ärzten bzw. Ärztinnen oder Hebammen gemacht oder ein traumatisches Erlebnis in der Vergangenheit hat dazu geführt, dass sie in dieser intimen Situation keine Fremden um sich haben wollen.
Leidest du während deiner Schwangerschaft unter Ängsten, wende dich vertrauensvoll an deine Vorsorgehebamme, eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen oder suche eine Beratungsstelle für Schwangere auf. Es gibt Strategien zur Angstbewältigung, die dir helfen können. Du bist nicht allein!
Seltener entscheiden sich Menschen für eine Alleingeburt weil sie keine Hausgeburtshebamme gefunden haben oder sich deren Kosten nicht leisten können und in einem Kranken- oder Geburtshaus keine Alternative sehen. Siehe dazu auch Wie viel kostet eine Hausgeburt?
Welche Risiken birgt eine Alleingeburt?
Wer sich für eine geplante Alleingeburt entscheidet, bereitet sich in der Regel bereits Wochen vorher bewusst und verantwortungsvoll darauf vor und setzt sich mit dem Thema Geburt im Allgemeinen, aber auch mit Details wie einer korrekten Abnabelung des Neugeborenen auseinander. Oftmals beschäftigen sich auch Begleitpersonen vorab mit dem, was auf sie zukommen kann. Selten entscheiden sich Erstgebärende für eine geplante Alleingeburt – meist sind bereits Geburtserfahrungen vorhanden. Entsprechend sicher fühlen sich viele Menschen, die eine Alleingeburt planen.
Solltest du dich für eine Alleingeburt entscheiden, solltest du nicht nur auf die Geburt, sondern auch auf einen Notfall vorbereitet sein. Eine gepackte Kliniktasche sollte bereitstehen. Außerdem sollte dein Smartphone-Akku geladen und der Empfang gesichert sein, um bei Bedarf Hilfe hinzurufen zu können. Am besten kontaktierst du schon während der Schwangerschaft eine Nachsorgehebamme, die dich und dein Kind nach der Geburt untersucht.
Trotz aller Vorbereitung und selbst bei einer komplikationsfrei verlaufenen Schwangerschaft kann es jedoch unter der Geburt und auch danach zu unvorhersehbaren Komplikationen kommen. Diese können sowohl für die gebärende Person als auch für das Kind gefährlich bis lebensbedrohlich sein. Laien können eine solche Situation nicht immer richtig einschätzen und entsprechend keine Vorsichtsmaßnahmen ergreifen oder Erste Hilfe leisten.
In manchen Situationen wäre beispielsweise das Hinzurufen eines Notarztes bzw. einer Notärztin oder eine Verlegung in ein Krankenhaus notwendig, um Schlimmeres zu verhindern. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Gebärende sehr viel Blut verliert, es zu einem Nabelschnurvorfall kommt, sich die Herztöne des ungeborenen Kindes verschlechtern oder es mit der Schulter im Geburtsgang stecken bleibt. Auch andere Komplikationen sind möglich. Zudem kann es unter der Geburt zu vaginalen Verletzungen kommen, die medizinisch versorgt werden sollten. Ein:e ausgebildete:r und erfahrene:r Geburtshelfer:in (Hebamme oder Arzt bzw. Ärztin) könnte das in der Regel erkennen und richtig handeln. Ohne medizinisches Fachpersonal an der Seite kann eine gebärende Person drohende Gefahren eventuell übersehen oder erst zu spät erkennen, weshalb sowohl Ärzte und Ärztinnen als auch Hebammen von Alleingeburten regelmäßig abraten.
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