Während Attachment Parenting (AP) den meisten Eltern hierzulande inzwischen ein Begriff ist, liest man über Natural Parenting (NP) noch eher selten in deutschen Medien. Was sind die Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten und lässt sich beides kombinieren?
Über den Sinn oder Unsinn, Erziehungsstilen oder Lebensstilen zu einen Namen zu geben, kann man diskutieren. Es hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Ein Vorteil ist aus meiner Sicht – als vierfache Mutter – dass man leichter Bücher, Zeitschriften, Podcasts, Blogs und Gleichgesinnte findet, wenn man einen Begriff hat, mit dem man danach suchen kann.
Die Attachment Parenting Community in Deutschland
Als ich vor 17 Jahren zum ersten Mal schwanger geworden bin, war die Attachment Parenting Community hierzulande noch klein und deutschsprachige Literatur dazu gab es nur wenig. Seitdem hat sich viel getan: Die Community ist gewachsen, es gibt Veranstaltungen wie den Attachment Parenting Kongress, zahlreiche Bücher zu diesem Thema und in Sozialen Medien Gruppen und Kanäle, die sich ausschließlich damit beschäftigen. Prominente AP-Befürworter:innen haben dazu beigetragen, dass inzwischen auch häufiger von Mainstream-Medien darüber berichtet wird. Ins Deutsche übersetzt bedeutet Attachment Parenting so viel wie „Bedürfnisorientierte Erziehung“, seltener ist von „Bindungsorientierter Erziehung“ die Rede. Einen ausführlichen Beitrag zu diesem Thema hat Gastautorin Silke R. Plagge HIER geschrieben. Darin erklärt sie unter anderem, wie Attachment Parenting entstanden ist und was deutsche Expert:innen wie Susanne Mierau und Dr. Herbert Renz-Polster dazu sagen.
Die neue Elterngeneration und Natural Parenting
Der Begriff Natural Parenting hingegen ist im deutschsprachigen Raum noch nicht so weit verbreitet. Frei übersetzt bedeutet Natural Parenting „Natürliche Elternschaft“. Einen Definitionsversuch haben wir in einem weiteren Beitrag HIER gewagt. Während es in anderen Ländern – vor allem in englischer Sprache – bereits zahlreiche Bücher und Zeitschriften zum Thema Natural Parenting gibt, stehen wir hierzulande mit dem Naturkind Magazin als Plattform (noch) weitestgehend alleine da. Da sich immer mehr junge Menschen mit dem Thema Nachhaltigkeit im Alltag auseinandersetzen und die Nähe zur Natur suchen, gehe ich davon aus, dass die NP-Bewegung in Deutschland mit der neuen Elterngeneration Schwung bekommen und in ein paar Jahren ähnlich bekannt sein wird, wie die AP-Bewegung es schon heute ist. Eine Tendenz in diese Richtung ist bereits zu erkennen.
Attachment Parenting
Attachment Parenting und Natural Parenting stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern überschneiden sich sogar in vielen Bereichen. Im Grunde baut NP sogar auf den gleichen Grundsätzen wie AP auf. Attachment Parenting basiert auf den 7 „Baby-Bs“, die ihren Namen deshalb haben, weil im Englischen jeder Grundsatz mit einem B beginnt. Im Deutschen ist das zwar nicht der Fall, die Bezeichnung hat sich dennoch etabliert. Die 7 „Baby-Bs“ sind:
- Birth bonding (Körperkontakt nach Geburt)
- Breastfeeding (Stillen)
- Babywearing (Tragen)
- Bedding close to Baby (Nähe beim Schlafen)
- Belief in the language value of your baby’s cry (Baby nicht alleine schreien lassen)
- Beware of baby trainers (Vorsicht vor „Baby-Trainern“)
- Balance (Ausgeglichenheit)
Eine detaillierte Erklärung, was die Baby-Bs im Einzelnen bedeuten, findest du HIER …
Natural Parenting – das gleiche in Grün?
Natural Parenting orientiert sich ebenso an diesen Grundsätzen. NP-Eltern berufen sich aber seltener auf den Kinderarzt William Sears, welcher den Begriff Attachment Parenting und die „Baby-Bs“ geprägt hat. Eher nehmen sie den Umgang von Naturvölkern mit ihrem Nachwuchs zum Vorbild und hören verstärkt auf ihre Intuition. Die meisten NP-Eltern stillen und tragen ihre Kinder, schlafen mit ihnen in einem Raum oder sogar einem Bett, lassen sie nicht alleine schreien und folgen keinen Schlaftrainings oder anderen Trainingsprogrammen für Babys. Sie legen viel Wert auf Körperkontakt von Anfang an und versuchen, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder in Balance zu halten. Soweit gibt es in den ersten Lebensjahren kaum einen Unterschied zwischen Attachment Parenting und Natural Parenting.
AP-Eltern achten ebenso auf die natürlichen Bedürfnisse ihrer Babys, doch legen darüber hinaus nicht zwingend Wert auf Naturverbundenheit oder Nachhaltigkeit im Familienalltag. Und hier liegt der entscheidende Unterschied. Eltern können einerseits Attachment Parenting praktizieren und andererseits Fast-Fashion und Plastikspielzeug für ihre Babys kaufen, einen Indoor-Spielplatz dem Wald vorziehen, den ganzen Tag über den Fernseher flimmern lassen und ihre Babys schon früh an ungesunde Nahrung heranführen oder ihnen bei jeder Kleinigkeit Medikamente verabreichen. Das eine schließt das andere nicht aus. Anders ist das beim Natural Parenting.
NP-Eltern wollen möglichst naturverbunden und nachhaltig leben und erziehen. Das geht für sie in der Regel weit über die „Baby-Bs“ und die ersten beiden Lebensjahre hinaus. Sie konsumieren bewusst und haben oft ein ausgeprägtes Hintergrundwissen, wenn es um Materialien, Zutaten oder Verarbeitung von Kleidung, Spielsachen und Lebensmitteln geht. Bevorzugt greifen sie zu Produkten, die mit Ökosiegeln gekennzeichnet sind und bei Lebensmitteln zudem zu saisonaler und regionaler Ware – sofern sie diese nicht sogar selbst anbauen. Viele von ihnen bevorzugen Stoffwindeln, Öko-Windeln oder praktizieren Windelfrei von Anfang an. Bei leichten Erkrankungen oder Verletzungen versuchen sie zunächst, die Beschwerden mit natürlichen Hausmitteln zu lindern. Sie verbringen außerdem überdurchschnittlich viel Zeit in der Natur.
Rebecca Sommer
Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 36-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.