Stillen wird von vielen als DAS Bindungsmittel schlechthin betrachtet. Frauen, die sich dagegen entscheiden (müssen), ihrem Kind die Brust zu geben, haben deshalb häufig ein schlechtes Gewissen. Dabei kann ein Bindungsaufbau auch ohne Stillen gelingen!
Als Mutter von vier Kindern und Fachjournalistin im Bereich Natur und Familie preise ich seit vielen Jahren das Stillen von Säuglingen an. Sowohl das Geben der Brust zur Nahrungsaufnahme und Beruhigung als auch die Muttermilch an sich haben sehr viele Vorteile. Und dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass es gute Gründe gibt, die im individuellen Fall gegen das Stillen sprechen. Und es steht weder mir noch einer anderen Person zu, über Mütter zu urteilen, die aufgrund dieser Gründe nicht stillen wollen. Eine Mutter die stillt ist nicht automatisch eine bessere Mutter!
Manche Frauen WOLLEN nicht stillen und das ist okay!
Die Entscheidung gegen das Stillen machen sich die meisten Mütter nicht leicht. Durch äußere Einflüsse fühlen sich viele genötigt, es wenigstens auszuprobieren oder für die ersten Wochen durchzuhalten – selbst, wenn sie sich mit dieser Vorstellung unwohl fühlen und ihre eigenen Bedürfnisse damit ignorieren. Es gibt zahlreiche individuelle Gründe, warum das Stillen nicht für jede Mutter gut ist und diese sollten akzeptiert werden. Nicht immer ist Stillen ein Garant für eine enge Mutter-Kind-Bindung. Im Gegenteil kann eine erzwungene Stillbeziehung diese sogar stören.___STEADY_PAYWALL___
Andere Frauen KÖNNEN nicht stillen und manche Kinder KÖNNEN nicht gestillt werden
Neben Frauen, die sich bewusst gegen das Stillen entscheiden, gibt es auch einige wenige, die aus medizinischen Gründen nicht stillen können und leider (zu) viele, die keine vernünftige Betreuung erfahren und das Stillen deshalb vorzeitig aufgeben. Und es gibt Adoptivmütter oder Co-Mütter, die theoretisch (nach monatelanger Vorbereitung und Einnahme von Hormonen) stillen könnten, ihrem Körper diese Belastung aber lieber ersparen. Einige Frühchen oder Babys die bereits im Mutterleib oder kurz nach der Geburt erkrankt sind, können oftmals nicht gestillt werden – auch wenn die Mutter es vielleicht gern gemacht hätte. All diese Mütter haben ebenso Aussicht auf eine enge und gesunde Mutter-Kind-Bindung, wie Mütter, die ihren Kindern die Brust geben.
Grenzüberschreitung noch im Kreißsaal
Immer wieder liest man von Frauen, die sich bewusst gegen das Stillen entscheiden, ihre Entscheidung vor oder während der Geburt kommunizieren und danach dennoch von der anwesenden Hebamme oder Pflegekraft dazu gedrängt werden, ihrem Kind wenigstens in den ersten Stunden die Brust anzubieten. Ich finde das ist ein absolutes Unding! Es gibt Frauen, die traumatische Erlebnisse mitmachen mussten und durch das Saugen an ihren Brustwarzen getriggert würden. Ihre Grenzen in einer so sensiblen Situation zu überschreiten ist für mich eine Form der Nötigung und absolut inakzeptabel. Meiner Meinung nach sollte dieses Thema jeder Person, die in der Geburtshilfe und Wochenbettbetreuung tätig ist, bekannt sein!
Jede Frau hat das Recht, über ihren Körper zu bestimmen und ihre Grenzen aufzuzeigen.
Anfeindungen im Umfeld
Mütter, die ihre Kinder nicht stillen, treffen hierzulande auch in ihrem Umfeld oft auf Unverständnis und werden teilweise sogar angefeindet. In sozialen Netzwerken halten sich einige Mütter für etwas Besseres, nur weil sie ihrem Kind die Brust geben und meinen, sie müssten missionieren und jede Mutter, die sich gegen das Stillen entscheidet, kritisieren oder öffentlich bloßstellen. Damit ist niemandem geholfen und damit sind sie meiner Meinung nach selbst kein gutes Vorbild für ihre eigenen Kinder.
Babynahrung stark kontrolliert
Auch wenn Muttermilch in der Regel eine sehr hochwertige Nahrungsquelle für Säuglinge ist und längst nicht in allen Bestandteilen künstlich „nachgebaut“ werden können, ist Säuglingsnahrung aus dem Handel absolut nicht schlecht. Kein anderes Lebensmittel in Deutschland unterliegt solch strengen Kontrollen. Inzwischen gibt es auch namhafte Bio-Marken, die Säuglingsnahrung im Sortiment haben. Eltern müssen sich also nicht um die Versorgung oder Entwicklung ihres Babys sorgen, wenn sie Säuglingsnahrung nach Anweisung zubereiten und füttern.
Liebevolles Fläschchengeben
Beim Stillen haben Mutter und Kind zwangsläufig einen sehr engen Körperkontakt. Dieser ist beim Fläschchengeben nicht unbedingt erforderlich. Man könnte ein Baby dabei ebenso ohne direkten Körperkontakt neben sich liegen haben. Größere Babys können ein Fläschchen sogar eigenständig greifen und zum Mund führen – was manche Eltern dazu verleitet, es beim Trinken alleine liegen zu lassen. Beides ist nicht ratsam (auch aus Sicherheitsgründen).
Körperkontakt wichtig für die Bindung
Für einen Bindungsaufbau von Anfang an ist Körperkontakt, sind liebevolle Berührungen und Blickkontakt sehr wichtig. Denn all das sorgt dafür, dass der Körper das sogenannte „Bindungshormon“ Dopamin ausschüttet. Wer sich also für das Fläschchengeben zur Nahrungsaufnahme entscheidet und vielleicht auch für einen Schnuller zur Beruhigung, sollte bewusst darauf achten, so viel Körperkontakt wie möglich zu seinem Baby zu haben. Das kann und sollte beim Füttern ebenso der Fall sein, wie beim Beruhigen und auch darüber hinaus.
Unterstützend können beispielsweise auch das Tragen (in einer Tragehilfe) oder Co Sleeping sein.
Rebecca Sommer
Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 36-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.