So idyllisch ist das Landleben wirklich – ein Dorfkind berichtet

Idyllisches Landleben Lüge
© Dusan Kostic / Adobe Stock

Naturkind Rebecca ist auf dem Land aufgewachsen, hat dann einige Jahre in Städten gelebt und zieht nun mit ihrer Familie aus der Millionenmetropole Hamburg in ein 800-Seelen-Dorf in Niedersachsen. Viele in ihrem Umkreis beneiden sie und zeichnen ein romantisiertes Bild vom Landleben, das sie gern korrigieren will.

Unsere Entscheidung, raus aufs Land zu ziehen, war wohl überlegt. Ich bin selbst in einem Dorf aufgewachsen und weiß, was mich und meine Familie erwartet.

Die Vorurteile, die viele Menschen in meinem ursprünglichen Umfeld gegenüber dem Großstadtleben haben, konnte ich schon nach wenigen Monaten in Hamburg nicht mehr hören – denn ich habe sie nicht bestätigt gesehen. „Also ich könnte ja nie in einer Großstadt wohnen“, sind sich viele meiner Bekannten und Verwandten sicher. Vor ihrem geistigen Auge ist Großstadt gleich hektische, stinkende und kriminelle Betonwüste. Dabei gibt es in allen Großstädten in Deutschland und Österreich etliche ruhige und grüne Stadtteile und Viertel – teils kann man hier idyllischer und nachhaltiger leben, als mancherorts auf dem Land.

Andersherum bin ich aber auch immer wieder erstaunt, welch romantische Vorstellungen viele Menschen aus meinem jetzigen Umfeld vom Landleben haben. Da wird von Bullerbü ähnlichen Kulissen geschwärmt, von Ruhe, Entschleunigung und „guter Landluft“. Viele Städter:innen idealisieren die Vorstellung vom Landleben und jene von ihnen, die dann raus ziehen, sind schnell ernüchtert.

Auf dem Land lebt man billiger

Viele Menschen in meinem Umfeld sind zunächst davon ausgegangen, dass finanzielle Gründe hinter unseren Umzugsplänen stecken. Die Aussage: „Auf dem Land sind die Mieten ja auch viel günstiger, als in der Stadt“, habe ich mehrfach gehört. Dabei werden wir tatsächlich in etwa die gleiche Miete zahlen wie aktuell, da unser neues Zuhause noch im Einzugsgebiet von Hamburg liegt und somit für Pendler:innen als attraktiv gilt. Viele ländliche Regionen in Stadtnähe haben ihre Mietspiegel in den letzten Jahrzehnten an die Preise in den Städten angepasst. Freilich gibt es auch Gegenden, in denen die Mieten noch deutlich unter Stadtniveau liegen – diese sind dann aber meist sehr abgelegen und wären für uns nicht in Frage gekommen.

Auf dem Land ist zudem der öffentliche Nahverkehr häufig deutlich schlechter ausgebaut, als in der Stadt, sodass man auf ein eigenes Auto angewiesen ist und neben Versicherung, Steuer und Wartung auch einiges mehr an Spritkosten einkalkulieren muss. Die Lebenshaltungskosten halten sich in etwa die Waage und so stimmt es leider nicht immer, dass Landleben billiger ist, als Stadtleben.

Von wegen Ruhe…

Auf dem Land ist es ruhiger, als in der Stadt – das denken viele. Doch kann man das nicht pauschal so sagen. Sicherlich gibt es Orte in Städten, in denen es sehr laut zugeht: Wer neben einer vierspurigen Hauptverkehrsstraße wohnt, wird nie wirklich Ruhe erleben – zumindest nicht bei offenem Fenster. Doch gibt es selbst in Millionenstädten auch verkehrsberuhigte Straßen, ruhige Viertel und ganze Stadtteile, in denen von Lärmbelästigung keine Rede sein kann. Ebenso gibt es auf dem Land ruhige Orte, aber auch solche, an denen es dauerhaft oder zeitweise laut ist.

Viele Menschen unterschätzen etwa den Lärm, den Landwirtschaftsmaschinen verursachen – am Tag, aber auch in der Nacht. Wir werden neben eine große Apfelplantage ziehen, die vorrangig nachts gepritzt wird. Ich kenne diese Situation bereits, weil ich jahrelang in Feldrandlage gewohnt habe und auch dort häufig nachts, aber auch tagsüber – wenn man gemütlich auf der Terrasse sitzen wollte – schwere Maschinen ihre Arbeit verrichtet haben. Aktuell in der Stadt bin ich einem solchen Lärm nicht ausgesetzt.

Autobahnen, Bundesstraßen und Umgehungsstraßen führen oftmals an Dörfern vorbei bzw. durch Dörfer hindurch. Längst nicht alle Abschnitte in der Nähe von Wohngebieten sind mit Lärmschutzwänden abgetrennt und so sind in vielen vermeintlich idyllischen Ortschaften oder auf Höfen in Alleinlage dauerhaft Motorengeräusche zu hören. Weitere Lärmquellen auf dem Land können Bahnschienen, Windräder sowie Flugverkehr sein. Auch benachbarte Betriebe mit Viehhaltung können zu einer Geräuschkulisse führen, die von Neulingen auf dem Land als störend empfunden werden können. Vielerorts auf dem Land halten sich Bewohner:innen zudem nicht unbedingt an Ruhezeiten, was beispielsweise das Rasenmähen angeht oder die Arbeit mit einer Kettensäge oder anderen Geräten. Was manche als befreiend empfinden, führt bei anderen zum Streit am Gartenzaun. Zudem sind auch in ländlichen Gebieten häufig Industrieanlagen angesiedelt. Nicht nur an Werktagen wird hier gearbeitet.

Schöne Aussicht? Nicht immer!

Hach, wie herrlich – dieser Weitblick über Felder, Weiden und auf Wälder. Ja, vielerorts gibt es ihn auf dem Land. Aber nicht selten stören Windparks, Überlandleitungen, Biogasanlagen, Industriegebäude (mit hohen Schornsteinen), Brücken oder Autobahnen den Ausblick. Und auch in Dörfern steht nicht jedes Haus für sich und in einem eingewachsenen Garten. Häufig schaut man auch in ländlichen Gebieten aus dem Fenster direkt auf die Häuserwand des Nachbarn – nicht anders, als in der Stadt. In einigen Dörfern – vor allem in der ehemaligen DDR – stehen zahlreiche Häuser leer und verfallen seit Jahren. Ein Anblick, der auch nicht allen zusagt.

Die gute Landluft?!?

In der Stadt ist die Luft schlecht, auf dem Land gut. Das denken viele Menschen und damit liegen sie nicht immer richtig. Denn tatsächlich sorgt die Landwirtschaft vielerorts für eine hohe Feinstaubbelastung und Pestizide tun ihr Übriges. Auch Industrieanlagen können die Luftqualität in ländlichen Gebieten verringern und zudem zu einer Geruchsbelästigung führen. Es gibt Orte auf dem Land, die eine schlechtere Luftqualität aufweisen, als viele Orte in der Stadt. Geruchsempfindliche Menschen können sich zudem am Geruch von frisch ausgebrachter Gülle als Düngemitteln auf Feldern, am Geruch von Pestiziden oder an den Viehgerüchen umliegender Betriebe stören. Regelmäßig werden zudem in vielen ländlichen Gebieten Feuer entzündet – etwa um Gartenabfälle zu verbrennen. Teilweise werden von Landwirt:innen kontrolliert ganze Felder abgebrannt, um Asche zu erzeugen, welche als Dünger dienen soll.

Der Verkehr ist (nicht!) weniger gefährlich

Ein weiterer Irrglaube ist, dass der Verkehr in der Stadt gefährlicher sei, als auf dem Land. Tatsächlich passieren die meisten tödlichen Verkehrsunfälle (58,5 Prozent) jedoch auf Landstraßen. Zum einen verlocken Landstraßen zu Rasereien und gewagten Überholmanövern, zum anderen sind diese häufig schlecht beleuchtet, nicht alle Kurven sind gut einsehbar und im Winter fehlt häufig ein Winterdienst. Hinzu kommen Wild- und Baumunfälle. Einige Dorfstraßen sind zudem von einem hohen LKW- und Landmaschinenaufkommen betroffen – Fahrzeuge, die schon aufgrund ihrer Größe und toten Winkel eine Gefahr im Verkehr darstellen. In vielen Dörfern fehlen zudem Ampeln und Zebrastreifen, gekennzeichnete Radwege und befestigte Fußgängerwege, wodurch zusätzliche Gefahrenquellen entstehen.

Fazit

Ich freue mich schon sehr auf unser neues Zuhause. Neben den zahlreichen Nachteilen sehe ich ebenso die vielfältigen Vorteile des Landlebens. Ich würde niemandem grundsätzlich davon abraten, aus der Stadt aufs Land zu ziehen. Doch gerade jene, die zuvor noch nie in einem Dorf gelebt haben, sollten bei ihrer Suche die rosarote Brille absetzen und ganz genau hinsehen, ehe sie den Schritt wagen. Ebenso lohnt es sich für Dorfkinder, über ihren Tellerrand zu blicken und zu erkennen, dass Stadtleben nicht unbedingt grau und ungesund sein muss.

Rebecca Sommer Journalistin Autorin Naturkind
Rebecca Sommer

Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 35-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.