Warum dein Baby keinen Kinderwagen braucht und wann die Anschaffung trotzdem sinnvoll ist

Baby ohne Kinderwagen
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Naturkind Rebecca Sommer hat vier Kinder und mit jedem individuelle Erfahrungen gemacht. Bei Kind Nummer vier hat sie ausprobiert, wie ein Alltag komplett ohne Kinderwagen ist. Ihr Fazit nach zwei Jahren? Positiv!

Ich will Kinderwagen nicht verteufeln. Bestimmt haben sie ihre Daseinsberechtigung und erleichtern zahlreichen Familien ihren Alltag. Wenn jemand behauptet, dass ein Kinderwagen ein absolutes Must-have ist und auf jede Erstausstattungs-Liste gehört, möchte ich aber widersprechen.

Deutschland – das Land der Kinderwagen?!?

Wie selbstverständlich Kinderwagen in Deutschland heutzutage sind, lassen folgende Statistiken erahnen: Im Jahr 2021 sind hier etwa 795.500 Babys geboren. Rund 736.000 neue Kinderwagen sind im gleichen Jahr verkauft worden. Geht man davon aus, dass jede Familie nur einen Kinderwagen hat, stehen in diesem Vergleich rund 59.500 Babys ohne neuen Kinderwagen da. Doch nicht bezifferbar ist, wie viele Babys in einem Second-Hand-Kinderwagen geschoben werden: Viele bekommen den Kinderwagen eines älteren Geschwisterkindes oder ein gebrauchtes Modell vom Flohmarkt oder über eine Kleinanzeigen-Plattform. Ebenfalls ist nicht klar, für wie viele der 2021 geborenen Babys bereits im Vorjahr ein Kinderwagen gekauft worden ist. Es wird also letztlich nur eine geringe Zahl sein, die tatsächlich gar keinen Kinderwagen hat.

Ein Kinderwagen kann hilfreich sein

Die Entscheidung für oder gegen einen Kinderwagen sollte immer individuell getroffen werden. Dabei stehen der Alltag, die Freizeitgestaltung und die Bedürfnisse der Eltern (oder weiterer Betreuungspersonen) ganz klar im Vordergrund. Ein (gesundes) Baby braucht keinen Kinderwagen. Die Frage, die man sich stellen sollte, ist also: Brauche ICH einen Kinderwagen?

Gründe die für die Anschaffung eines Kinderwagens sprechen gibt es zahlreiche. Nicht alle betreuenden Personen wollen oder können ein Baby (immer) in einer Tragehilfe tragen. Wer zu Fuß einkaufen geht, kann oder will vielleicht auch nicht zusätzlich zum Baby Einkäufe tragen oder hinter sich herziehen. Gleiches gilt für Dinge, die man auf Ausflüge mitnehmen will (Proviant, Picknickdecke, Wickelzubehör, Wechselkleidung, Sandspielzeug usw.). Manche Eltern haben mehrere kleine Kinder und finden einen Kinderwagen deshalb hilfreich. Andere rauchen und wollen währenddessen und danach auf Abstand zu ihrem Baby sein und für wieder andere ist ein Marken-Kinderwagen ein Statussymbol, das sie mit Stolz durchs Viertel schieben oder auf Social Media Plattformen präsentieren. Praktisch finden viele Eltern außerdem, dass Babys im Kinderwagen ein- und zu Hause oder im Café darin weiterschlafen.

Die Gründe, die für einen Kinderwagen sprechen, sind vielfältig und individuell.

Nachteile eines Kinderwagens

Mindestens so viele Gründe wie für einen Kinderwagen sprechen, können bei individueller Betrachtung jedoch dagegen sprechen. Auch hier gilt wieder – nicht alle sind für jede Familie relevant.

  1. Ein Kinderwagen kostet (viel) Geld
    Da sind die nicht unerheblichen Kosten eines Kinderwagens. Manche Modelle kosten 1.000 Euro und mehr. Vor allem wenn man auf das Thema Nachhaltigkeit Wert legt, muss man selbst für gebrauchte Modelle noch tief in die Tasche greifen. Und damit ist es in der Regel nicht getan. Zubehör wie ein Sonnenschirm, ein Sonnensegel, ein Regenverdeck, ein Mückennetz, ein Fußsack, ein Fahrradschloss, eine Flaschenhalterung und etwaige Ersatzteile oder Reparaturen kommen noch hinzu.
  2. Ein Kinderwagen braucht einen Stellplatz
    Nicht jede Familie hat ausreichend Platz im oder ums Haus, um einen Kinderwagen bei Nichtnutzung sicher und trocken unterzubringen. Wer in einer Mietwohnung wohnt, sollte vorab mit der Hausverwaltung klären, ob der Hausflur dafür genutzt werden darf oder eine Alternative zur Verfügung steht. Der Stellplatz sollte möglichst ebenerdig (oder mit einem Fahrstuhl erreichbar) sein. Das Stellplatz-Problem begegnet einem auch unterwegs immer mal wieder. Nicht überall kann man einen Kinderwagen mit rein nehmen. (Ein Fahrradschloss und ein Regenverdeck sind deshalb unverzichtbare Accessoires.) Und in einer solchen Situation muss man erst einmal einen geeigneten Ort finden, an dem der Kinderwagen angeschlossen werden kann.
  3. Ein Kinderwagen nimmt Platz im Auto weg
    Ebenso sollte der Auto-Kofferraum vor dem Kauf eines Kinderwagens bedacht werden – denn nicht jedes Kinderwagen-Modell lässt sich klein zusammenklappen. Und selbst wenn, ist der Kofferraum damit oft zu einem nicht unerheblichen Teil gefüllt und kein Platz mehr für Einkäufe oder Reisegepäck gegeben. Nicht selten führt das dazu, dass Eltern zusätzlich eine Dachbox oder einen Anhänger fürs Auto benötigen, wenn sie verreisen – was mit weiteren Kosten verbunden ist.
  4. Ein Kinderwagen ist ein Hindernis
    Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ein Kinderwagen im Alltag in vielen Situationen sehr unpraktisch sein kann. Etwa wenn es (z. B. am Bahnsteig) keinen Fahrstuhl gibt und viele Treppenstufen überwunden werden müssen. Auch beim Ein- und Ausstieg in Bus oder Bahn (sofern diese nicht barrierefrei gestaltet sind). Oder aber in sehr engen Einkaufsläden, wenn man unterwegs mal dringend auf Toilette (oder wickeln) muss, wenn man einen Platz in einem gut besuchten Café ergattern will, wenn der Untergrund nicht für Räder geeignet ist usw.
  5. Ein Kinderwagen schafft Distanz
    Babys sind Traglinge und am liebsten ganz nah bei ihrer Bezugsperson. Ein Kinderwagen schafft Distanz und diese kann sich auf Dauer auf das Baby sowie die Bindung negativ auswirken. Außerdem bemerken betreuende Personen die ein Baby tragen eher, ob es zu warm oder zu kalt wird oder andere Auffälligkeiten zeigt. Zudem lassen sich Babys mit Körperkontakt in der Regel schneller beruhigen als solche, die im Kinderwagen zur Beruhigung „herumgeruckelt“ werden.
Rebecca Sommer Journalistin Autorin Naturkind
Rebecca Sommer

Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 35-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.