So kannst du Eltern von Frühchen aktiv unterstützen

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Eltern von Frühgeborenen stehen vor besonderen Herausforderungen. Entsprechend brauchen sie eine besondere Unterstützung. Nicht nur von medizinischem Fachpersonal – auch von den Menschen in ihrem Umfeld. Was du als Angehörige:r jetzt für sie tun kannst und was du lieber nicht tun solltest…

In Deutschland kommen jedes Jahr rund 60.000 Babys vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Damit ist jedes zehnte Baby ein sogenanntes „Frühchen“. Nicht nur Eltern, die von einer Frühgeburt überrascht wurden, auch jene, deren Baby aus medizinischen Gründen Wochen vor dem errechneten Geburtstermin „geholt“ werden musste, stehen nun vor besonderen Herausforderungen. Während Eltern reif und gesund geborener Babys schnell in ein glückliches Familienleben durchstarten dürfen, müssen Eltern von Frühgeborenen oft Wochen oder gar Monate bangen, ihren Kleinen hilflos beim Kämpfen zusehen und über die Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit hinaus gehen – während ihr Alltag weiterläuft. Wenn du ein solches Schicksal in deiner Verwandtschaft oder deinem Freundeskreis mitbekommst, fragst du dich vielleicht, ob und wie du nun helfen kannst.

Sensible Formulierungen bei der Gratulation

Wenn ein Baby geboren wird, freuen sich alle mit den Eltern und gratulieren ihnen. Diese Gratulationen können bei Frühchen-Eltern aber nach hinten losgehen. Achte deshalb auf sensible Formulierungen und vermeide nun unangebrachte Floskeln wie: „Ich wünsche euch eine schöne Kuschelzeit“, denn davon sind die meisten Eltern frühgeborener Kinder noch weit entfernt – allenfalls für wenige Minuten dürfen sie ihr Baby zwischendurch halten. Auch eine „harmonische Zeit zu Dritt“ ist ein Wunsch, der so schnell nicht in Erfüllung gehen wird – denn neben Eltern und Baby ist auf der Intensivstation immer ein Team an medizinischem Personal anwesend. Auch bei der Wahl der Glückwunsch-Karte solltest du genau hinsehen und keine auswählen, auf der ein gut genährtes Baby abgebildet ist. Greif stattdessen lieber zu einer neutralen Karte.

Halte dich zurück mit Fragen

Bitte halte dich auch mit Fragen wie: „Wann wird das Baby denn entlassen?“, zurück. Oft ist das noch nicht absehbar und eine solche Frage nur Salz in eine offene Wunde. Auch vermeintliche Komplimente wie: „Du bist schon zu Hause und dein Kind noch im Krankenhaus? Hut ab – das könnte ich ja nicht“, sind absolut Fehl am Platz. Das Baby MUSS auf der Intensivstation bleiben, während die Mutter oft bereits (viel) früher aus dem Krankenhaus entlassen wird. Den meisten Müttern zerreißt die Trennung das Herz. Viele haben außerdem die Doppelbelastung, sich zu Hause um größere Geschwisterkinder kümmern zu müssen und gar keine andere Wahl, als zu funktionieren. Viele Väter müssen nach kurzer Zeit bereits wieder arbeiten. All das belastet die Familie enorm und auch wenn du Respekt davor empfindest, was diese Menschen nun leisten – sei vorsichtig mit deinen Formulierungen, sie können verletzend sein.

Schüre keine Schuldgefühle

Völlig unbedacht fragen manche Angehörige, wie es denn zu der Frühgeburt kommen konnte. „Hast du etwas Falsches gegessen? Hast du zu viel Sport gemacht? Hast du zu viel gearbeitet? Hattest du zu viel Stress? Hast du keine Anzeichen gespürt?“ Du kannst davon ausgehen, dass sich das Gedankenkarussell der Eltern, vor allem Mütter, in diesen Zeiten bereits von alleine dreht und sie von Schuldgefühlen gequält werden oder sich Fragen wie diese selbst stellen. Es gibt etliche Gründe, warum eine Schwangerschaft zu früh endet. Nur sehr selten ist das Verhalten der Schwangeren der Auslöser. Schüre solche Schuldgefühle nicht, indem du auf „Spurensuche“ gehst oder gar (unterschwellige) Unterstellungen machst, wie: „Ich habe ja neulich gelesen, dass Übergewichtige häufiger eine Frühgeburt haben“, oder: „In deinem Alter hätte dir dieses Risiko doch bewusst sein müssen“. Es gibt hierfür keine richtige Formulierung. Verkneif dir einfach jeglichen Kommentar dazu.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht?

Dieses Motto mag in vielen Situationen passen. Aber nicht in einer Situation, in der Eltern um das Leben ihres Kindes bangen! Bitte versuche deine eigene Unsicherheit nicht mit „lustigen Sprüchen“ zu überspielen. Verkneif dir Aussagen wie: „Ich habe mich beim Kauf noch gefragt, ob der Strampler zu klein sein könnte. Da müssen wir uns ja jetzt keine Sorgen drum machen.“ Auch Vergleiche mit dem runzligen Uropa sind unangebracht – dass Frühgeborene greisenhaft aussehen, ist besorgniserregend und nicht lustig und auch Aussagen wie: „Lieber ein zarter Schmetterling, als eine fette Hummel“, oder: „Sei froh, dass du nicht so eine Melone rauspressen musstest, wie ich“, lassen Eltern von Frühgeborenen – die jedes zugelegte Gramm ihres Babys als Erfolg feiern – einfach nur mit dem Kopf schütteln.

Reagiere verständnisvoll

Das Nervenkostüm von Eltern in einer solchen Extremsituation kann sehr dünn sein. Nimm es deshalb nicht persönlich, wenn du eine Reaktion abbekommst, mit der du nicht gerechnet hättest. Biete ein offenes Ohr zum Zuhören und deine Unterstützung an, aber sei nicht beleidigt, wenn das abgelehnt wird. Du bist enttäuscht, dass du kein Foto des Babys bekommen hast? Vielleicht ist dir nicht bewusst, wie Frühchen nach der Geburt aussehen und dass sie meist verkabelt und nur mit einer Windel und Mütze bekleidet auf der Intensivstation liegen. Manche werden zusätzlich beatmet und/oder durch eine Magensonde ernährt. Der Anblick kann für Außenstehende verstörend sein und für manche Eltern ist diese Situation auch einfach zu intim, um sie mit entfernen Verwandten oder flüchtigen Bekannten zu teilen. Hab bitte Verständnis dafür und dränge nicht, Fotos sehen zu wollen. Bekommst du Fotos geschickt, leite diese nicht einfach ungefragt weiter (das sollte für Babyfotos übrigens immer gelten).

Kuschelzeit ist für Frühgeborene anfangs eine Ausnahme.

So kannst du helfen

Wenn du dich mit der Situation überfordert oder davon getriggert fühlst, formuliere das ehrlich und gehe danach auf Abstand. Die Eltern einfach zu „ghosten“ oder immer wieder neue Ausreden zu erfinden, warum du dich nicht früher gemeldet hast, die Familie nicht besuchen oder unterstützen kannst, kann eurer Beziehung langfristig schaden. Denn ohne deine Beweggründe zu kennen, werden sich die Eltern von dir vielleicht einfach im Stich gelassen fühlen.

Du möchtest gerne helfen und fühlst dich dafür auch stark genug, hast aber keine Idee, was du tun kannst? Frag die Eltern ganz direkt: „Ich möchte euch unterstützen. Was kann ich heute für euch tun? Was kann ich in dieser Woche für euch tun?“ Bring dich immer mal wieder in Erinnerung, selbst wenn die erste Reaktion: „Danke, wir brauchen nichts“, sein sollte. Auch Eltern, die Unterstützung gerade bitter nötig haben, fällt es nicht selten schwer, aktiv um Hilfe zu bitten. Mit Aussagen wie: „Wenn ihr was braucht, meldet euch“, schaffst du eine unnötige Hürde. Gerade Eltern, deren Kind noch im Krankenhaus liegt, sollten sich mit der Organisation des ganzen „Drumherums“ nicht befassen müssen. Hast du ein inniges Verhältnis zu ihnen, kannst du dich mit ihnen absprechen und die Organisation übernehmen, hilfsbereite Menschen zusammentrommeln, die mit anpacken und dafür sorgen, dass „alles läuft“. Gibt es bereits eine solche Person, biete ihr deine Hilfe an.

  • Wer passt wann auf Geschwisterkinder auf?
  • Wer versorgt wann die Haustiere?
  • Wer übernimmt wann welche Aufgaben im Haushalt?
  • Wer fährt die Eltern wann ins Krankenhaus und holt sie ab?
    (Gerade für Eltern, die kein Auto haben oder ein Familienauto, das für andere Zwecke gebraucht wird, ist das sehr hilfreich.)
  • Wer übernimmt wann welche Einkäufe?
  • Welche wichtigen Besorgungen für das Baby sind zu machen und wer erledigt diese?
    (Eltern, die von der Frühgeburt überrascht wurden, haben oft nicht einmal die nötigste Erstausstattung zu Hause.)

Wenn du die Eltern nicht sooo gut kennst

Du möchtest Frühchen-Eltern unterstützen, mit denen du nicht so „eng“ bist – beispielsweise Kolleg:innen von der Arbeit oder Nachbar:innen? Scheu dich nicht davor. Die Wenigsten werden es als aufdringlich oder übergriffig empfinden, wenn du ihnen beispielsweise etwas zu Essen vorbeibringst – das ist in dieser herausfordernden Zeit viel wertvoller, als ein Blumenstrauß, Babykleidung oder Windeln. Erwarte aber bitte nicht, reinkommen zu dürfen. Eltern brauchen nach der Geburt ihres Kindes Ruhe und Spontan-Besuche können anstrengend sein.
Es können auch scheinbar banale Dinge sein, mit denen du zeigen kannst, dass du für die Familie da bist. Nachbar:innen können etwa die Mülltonne zum Abholtermin mit an die Straße schieben, das Stück des Gehwegs mit fegen (oder von Laub oder Schnee befreien) oder den Rasen im Vorgarten mähen, wenn sie bei sich eh gerade dabei waren. Kolleg:innen, die gerne zusammen etwas schenken wollen, können über Nützliches für den aktuellen Alltag der Eltern nachdenken, wie einen Gutschein für einen Lieferservice.

Materielle Geschenke

Viele Eltern freuen sich trotz des schwierigen Starts auch über materielle Geschenke. So können sie für einen Moment „Normalität“ erleben und positiv in die Zukunft blicken. Es ist eine Typfrage, ob klassische Baby-Geschenke gut ankommen – vielleicht gibt es eine Wunschliste, an der du dich orientieren kannst. Abgeraten wird von Fachleuten von Spieluhren, weil Frühchen mitunter sehr geräuschempfindlich sind. Wer Kleidung schenken möchte, kann eventuell spezielle Frühchen-Kleidung besorgen. Auch Windeln gibt es speziell für frühgeborene Kinder.

Rebecca Sommer Journalistin Autorin Naturkind
Rebecca Sommer

Rebecca Sommer hat nach ihrem Studium ein Volontariat bei einer Tageszeitung absolviert und war als Redakteurin und Buchautorin für diverse Verlage und Medien tätig. Heute arbeitet die vierfache Mutter als Geschäftsführerin der nachhaltigen Werbeagentur between und leitet das Projekt Naturkind. Mit ihrer Familie lebt die 35-Jährige auf einem Hof in der Nähe von Hamburg.