Die Familie im Jahreskreis – warum Rituale für Kinder wichtig sind

Jahreskreis Familie Rituale
© Robert Kneschke / Adobe Stock

Wer mit Kindern von klein auf Rituale pflegt, knüpft ein schützendes und stärkendes Netz um seine Familie. Es sind oft kleine, aber wiederkehrende Erlebnisse, an die sich Erwachsene später aus ihrer Kindheit erinnern. Durch ganz persönlich ausgewählte Rituale wachsen Familien zusammen. Diese Gemeinschaft trägt Heranwachsende und gibt ihnen Halt in einer immer hektischeren, sehr konsumorientierten Welt ohne Bezug zur Natur.

Rituale bieten einen reichen Schatz für gemeinsam gelebte und erlebte Familienzeit im Jahreskreis. Nicht zufällig vermischen und überlappen christliche Traditionen und Festtage im Kirchenkalender mit älteren Bräuchen, von denen manche den Kelten oder den Germanen zugeschrieben werden. Der Jahreskreis selbst mit seinen acht Festen ist neueren Ursprungs und der von Gerald Gardener gegründeten Naturreligion Wicca inspiriert. Aber auch die Anthroposophen haben sich in die Bedeutung des Jahreslaufs für die Seele vertieft.  

Hinter diesen nur scheinbar überraschenden Parallelen steckt die Ausrichtung an den Rhythmen der Natur mit ihren Mondphasen und dem Lauf der Sonne. Das Wissen darüber, wie diese Zyklen auch die Menschen beeinflussen, ist uralt.

Warum eignen sich Jahreskreisfeste für Familien?

Immer mehr Familien leben atheistisch und ohne die rituelle Eingebundenheit in den Jahreslauf kirchlicher Feste. Dadurch steigt die Bedeutung eigener Familienrituale im kleinen Kreis oder mit befreundeten Familien.
Familienrituale, die in Verbindung mit den Jahreskreisfesten stehen, sind Symbole für spirituelle Naturverbundenheit. Als Mutter dreier Heranwachsender ist es mir ein Herzensanliegen, unsere Familienrituale im Jahreskreis und das darin enthaltene Wissen über den Rhythmus der Natur zu bewahren und weiterzugeben. Denn ich sehe darin eine nützliche Hilfestellung für die Aufgaben des Lebens. Sie bieten Lebensweisheit, Selbstbewusstsein und Vertrauen in sich selbst sowie eine sinnstiftende Naturverbindung. Bei der Bildung von Urvertrauen, Resilienz und Zugang zur eigenen Kraft spielen sie eine entscheidende Rolle. Und nicht zuletzt: Wer mit der Erde und der Natur in Beziehung tritt, versteht auch, warum Klima- und Artenschutz nicht mehr aufgeschoben werden können.

Rituale im Rhythmus der Natur

Mütter und Väter, aber auch Großeltern und anderen der Familie nahestehenden Personen kommt die spannende Aufgabe zu, in diesem zyklischen Rhythmus Rituale aktiv einzuführen und anzubieten.
Auch wenn die Kinder groß werden, ihre eigene Persönlichkeit entwickeln, bleiben authentische Familienrituale im Jahreskreis als gemeinsamer Rückzugsort bestehen. Sie stiften Beständigkeit und geben Halt. Der Rhythmus der Jahreszeiten bietet wunderbar vielfältige Möglichkeiten für spirituelle, intensive Naturerfahrungen und die Weitergabe der Inhalte und Themen, die uns als Eltern am Herzen liegen.

Durch die beständige Wiederholung der Familienrituale im Jahreskreis entsteht bei den Kindern ein Gefühl für die Natur und ihren Wandel im Jahreslauf. Jahr für Jahr freuen sich kleine und große Kinder auf Weihnachten, wohl das beliebteste Fest im Jahreskreis schlechthin. 

Wenn wir unseren Nachwuchs an die Hand nehmen und mit ihnen achtsam durch die Monate gehen, finden wir mit dem zunehmenden Licht im neuen Jahr und den unglaublichen Triebkräften, mit denen die Natur jeden Frühling wieder zu neuer Pracht und Fülle heranreift, viele Momente für gemeinsame Familienzeit. Gestalten wir unsere Zeit ganz bewusst miteinander, entsteht Verbundenheit und Vertrauen zwischen uns. Kinder erinnern sich an diese wunderbaren Momente, selbst an kleine Gesten. Ein Nachmittag im Schnee und der heiße Kakao im Anschluss daheim, ein Kressegarten auf der Fensterbank, der das Frühjahr willkommen heißt, bunte Ostereier im kahlen Strauch, ein Lagerfeuer mit Freunden.

Aus diesen kleinen Momenten entwickeln sich liebgewonnene Gewohnheiten. Oft merke ich selbst erst, das sich ein neues Familienritual entwickelt hat, wenn ich es in einem Jahr mal anders machen will. Dann fordern die Kinder lautstark ein, was sie nicht missen wollen. Und ich höre genauer hin und lasse mich auf die Familienrituale ein, die unseren Kindern so viel bedeuten. 

Gerade für jüngere Kinder ist das Wiederholende und Rhythmische des Jahresreigens zum Wiedererinnern und Erkennen entscheidend. Neben dem Jahreszyklus haben auch die Tage und Wochen ihren Rhythmus. Viele kleine Rituale zum Aufstehen und Zubettgehen, aber auch gemeinsame Mahlzeiten erleichtern das Familienleben für kleine und große Menschen.

Familienrituale gemeinsam entwickeln

Dabei soll sich jedes Familienmitglied – egal welchen Alters – mit eigenen Ideen zum freien Spiel und persönlichen Lieblingsthemen einbringen können. Nur dann werden Rituale wirklich zu unseren ureigenen Familientraditionen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass unsere Rituale zu hohlen Konstrukten verkommen. Wir und besonders Kinder spüren sehr genau, wenn sich etwas nicht echt anfühlt. 

Rituale verändern sich auch im Laufe der Zeit. An manchen für uns Erwachsene schönen Bräuchen verlieren größere Kinder und Jugendliche nach und nach das Interesse. Bestes Beispiel ist die Tradition der Laternenumzüge von St. Martin, der in vielen Regionen mit dem Ende der Kindergartenzeit oder im Lauf der vier Grundschuljahre aufhört. 

Das Laterne gehen hat bei uns das Lagerfeuer zu Halloween abgelöst. Zuerst war ich entsetzt und habe dieses „amerikanische Konsumfest“ abgelehnt. Doch die Beschäftigung mit den Jahreskreisfesten und Samhain haben mir gezeigt, dass diese beiden Feste einen gemeinsamen Ursprung bei den Kelten haben. Da die Kinder Halloween lieben und mich das alte Wissen, das hinter den Jahreskreisfesten steht, fasziniert, kommen wir darüber ins Gespräch, feiern gemeinsam mit neuen und alten Bräuchen. Wir sprechen über Tod und Vergänglichkeit. Das Sterben der Blumen und Pflanzen im Herbst regt uns dazu an, ebenso Geister und Gespenster aus anderen Welten. Wir überlegen uns, woher die Zombies kommen. Der schaurig leuchtende Kürbiskopf vor der Tür, aber auch Lagerfeuer und Kerzen im Fenster sind gute Alternativen, um gemeinsam ein Lichtzeichen in der nun beginnenden Dunkelheit zu setzen. 

Eigene Familienrituale bieten den Freiraum, sie immer wieder an unsere Bedürfnisse anzupassen. So bekommen sie die Möglichkeit zum „Mitwachsen“. Indem wir Rituale weiterentwickeln, gelingt es Vertrautes so abzuwandeln, dass in ihm Raum für Entfaltung und Neues entsteht. Das ist gerade für die unsichere Zeit an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend die Chance, liebgewonnene Familienrituale zu bewahren. Damit bieten Eltern Heranwachsenden einen festen Rahmen, auf den sie sich verlassen können. In den sie sich bei Bedarf immer mal wieder kuscheln und sogar hineinfallen lassen können. Denn eigene Familienrituale sind wie ein Sicherheitsnetz, das trägt, wenn wir einen doppelten Boden brauchen. Und das Beste: Diese Gemeinschaft trägt alle, ob klein oder groß, jung oder alt.

Verena Wagner Journalistin Autorin
Verena Wagner

Verena Wagner hat im Anschluss an ihr Komparatistik- und Ethnologiestudium zunächst als Redakteurin für Food- und Reisemagazine gearbeitet. Seit 14 Jahren ist sie Vollzeitmama und schreibt nebenbei für Magazine, Verlage und ihren eigenen Blog mamirocks.com. Um ihren drei Kindern ein Leben im Einklang mit der Natur zu ermöglichen, ist die Familie von München in die Tiroler Berge gezogen. Dort lebt Verena ihre Leidenschaft für das Sammeln und Verarbeiten von Heilkräutern und deren Anbau im eigenen wilden Garten aus. Ihr Traum ist ein Leben als Selbstversorgerin, was ihr mit Obstbäumen und Gemüsegarten (sowie dem Lebensmittelretten) bisher vor allem im Sommer und Herbst gelingt.